Gehstück, das.

Ein Text fürs Gehen geschrieben, gelangt im Gehen zur Geltung. Wenn Du noch nie davon gehört hast, dann deshalb, weil wir das Gehstück als Textgattung erst begründen, indem Du das liest, gerade begründet haben.

§1 Das Gehstück bedient sich des Gehens als KULTURELLE TECHNIK der Wahrnehmung und des Denkens.

§2 Das Gehstück bietet eine besondere Art von Texterfahrung durch den Einbezug ALLER SINNE.

§3 Das Gehstück ist ZUGÄNGLICH, wie es Kunst und Literatur gerne von sich behaupten, es aber nur selten sind. Im Gehen finden wir einen niederschwelligen Zugang zum Text.

§4 Das Gehstück ist PARTIZIPATIV, indem, wer hört, mitspaziert. Wer hört, ist Teil der Lesebewegung, Teil des Gehstücks. Alle Menschen können spazieren, das heisst, sich Zeit nehmen, um wahr-zu-nehmen.

§5 Das Gehstück ist INTERSUBJEKTIV. Das gemeinsame Gehen schafft den nötigen Boden zur Verständigung. Die gemeinsamen Schritte bedeuten die Gleichwertigkeit der Erfahrungen.

§6 Das Gehstück ist KÜNSTLERISCH-EMPIRISCH. Die Textgattung trägt die Sprache in den Raum und stellt ihre Texte auf die Probe. Immer ist sie mit der existentiellen Spannung zwischen Bild und Wirklichkeit, zwischen den Grenzen der Sprache und denen unserer unmittelbaren Erfahrung beschäftigt, der drohenden Nutzlosigkeit der Worte. Sie lässt uns den Widerspruch spüren. Die Textgattung verbietet sich die Sterilität der klassischen Ausstellungs- und Bühnenräume.

§7 Das Gehstück denkt den KONTEXT mit. Kein TEXT ohne KON. Lesungen sind gelebte Texte. Eine Lesung sollte einen Text so in einen Zusammenhang führen, damit er wirkt und nicht einschläfert.

§8 Das Gehstück setzt sich dem ZUFALL aus – durch eine Welt gehen, die wir nicht kontrollieren, noch nicht einmal verstehen: Wichtig ist die Haltung! Spazieren heisst, mit dem Zufall gehen.

§9 Das Gehstück stellt sich in den Dienst des ALLTAGS. Ziel jeder freien Ausdrucksweise und damit der Kunst im weitesten Sinn kann nur sein, unsere Lebenswelt zu bereichern. Das Gehstück soll uns was an-gehen. Anfang und Ende des Gehstücks bilden deshalb die alltäglichen Erfahrungen, an die jede lebensdienliche Kunst zurückgebunden werden muss. Spazieren heisst, den Alltag leben.

§10 Das Gehstück baut auf BEWÄHRTER PRAXIS. Selbst wenn das (Geh)Stück nicht überzeugen würde, kämen die Teilnehmenden immerhin in den Genuss eines Spaziergangs.

§11 Das Gehstück überzeugt AUS SICH. Alle Paragrafen hier sind intellektueller Anhang. Du musst die aufgezählten Punkte weder gelesen noch verstanden haben, um an einem Gehstück teilzunehmen.

LJVW, Basel, Januar 2023

Geschrieben zum Auftakt der Lesungsreihe „Gehstück, das.“ (2023), in welcher gattungsfremde Texte spazierfertig gemacht wurden mit dem Ziel, die Eigenständigkeit der neuen Textgattung „Gehstück“ besser verstehen und begründen zu können.

Weitere Paragrafen können hier eingesehen werden.

PROGRAMM

2023

2024/1

2024/2

OPEN CALL

Das Gehstück ist eine öffnende Bewegung: Wer sich daran versuchen will, Texte und Ideen an info[at]gehstueck.ch. Gerne geben wir Rückmeldung, auch im Hinblick auf die anstehende Programmplanung.

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